Vorwort
In diesem Beitrag befasse ich mich mit einer Inventur. Bei dieser Inventur blicke ich zurück auf mein bisheriges Berufsleben. Ich sehe zurück auf die Menschen denen ich bisher begegnet bin und auf die zahlreichen Augenblicke die ich mit ihnen erlebt habe. Unser Leben besteht ja zu einem Großteil aus Arbeit und während wir so vor uns hin arbeiten und die Welt da draußen teilweise gar nicht zu existieren scheint, lasse ich all die kleinen Blasen in denen ich mich wie in einem Paralleluniversum bewegt habe einfach platzen und die Tröpfchen werden hart auf dem Boden der Realität wieder aufschlagen. Was ich mit ,,Blase,, meine? Ich meine diese kleinen Räume voller bunter Farben und den dünnen Wänden die das Innenleben von äußeren Einflüssen zu schützen scheinen. Die Wände schillern und scheinen so überaus wichtig und dennoch sind sie nichts weiter als vor sich hin wabernde, kleine Universen in die ich meistens freiwillig hineinstieg. Dieser Beitrag wird kein Bashing auf das Leben selbst. Ich versuche für mich selbst meinen eigenen IST-Zustand zu ermitteln und ich habe lange überlegt ob ich das jemandem zumuten kann. Meiner Familie habe ich dies zugemutet und meinen Freunden. dennoch hatte ich bei vielen Menschen nicht daran gedacht, dass auch sie selbst in einer solchen Blase existieren. Auch sie wandern durch diese kleinen Galaxien die eigenständig zu existieren scheinen und vielen fällt es sichtlich schwer von einer Blase in eine andere zu blicken denn diese dünnen Wände scheinen so bequem. Ich möchte mich selbst ergründen und ich möchte Erlebnisse endlich auch für mich selbst verarbeiten können.
Das Dorf der Verdammten
Wir, meine Mutter und ich, wir fahren zusammen in einen kleinen Ort. Es erscheint wie ein Dorf. Ich komme aus einem Dorf. Tribsees. 1994 zog meine Familie nach Berlin doch ich denke wer einmal auf einem Dorf gelebt hat wird diese Zeit so schnell nicht vergessen. Wir erreichen dieses Dorf und ich bin wahnsinnig aufgeregt. Mein erstes Bewerbungsgespräch ever! Damals war mir mein HSA noch peinlich und ich schämte mich für meine schlechten Noten in Mathematik denn ich wusste damals schon das mich niemand danach fragen würde wie gut ich schreiben oder mich ausdrücken könnte. Niemanden würde es interessieren wie gut ich zeichnen konnte und das ich sogar während des Unterrichts zeichnen durfte mit der Erlaubnis einiger Lehrkräfte. Das verstand man damals vermutlich unter Förderung und ich war sehr sehr dankbar dafür. Als wir aus dem Auto stiegen befanden wir uns an einem Haus an einem kleinen und wirklich idyllischen See. es war eine traumhafte Kulisse und dennoch hatte ich etwas Angst hier leben zu müssen und wusste nicht wohin mit all meinen Gefühlen. Wir betraten das Haus und ein älterer Herr nahm mich mit für einen kleinen Einstellungstest. An eine der Fragen kann ich mich heute noch sehr gut erinnern denn ich wusste die Antwort damals noch nicht und wunderte mich auch etwas über die Frage. Wie heißt der höchste Vulkan Europas? Wir hatten im Unterricht nie darüber gesprochen, so viel weiss ich noch. Ich hatte die Antwort natürlich verhauen und dennoch habe ich mich wohl gut angestellt denn ich sollte den Ausbildungsplatz in diesem Haus bekommen. Vor überschwänglicher Freude verlor meine Mutter sogar einige Tränen und ich war nach wie vor erfüllt von gemischten Gefühlen weil ich ja nicht wusste was auf mich zukommen sollte. Wir standen am Absatz einer Treppe. Der Inhaber, meine Mutter und ich. Zuvor erzählte mir der ältere Herr noch, er hätte eine Schwäche für meinen Vornamen.Marcel. Es wäre sein Lieblingsname und er hätte nur Angestellte die diesen Namen tragen würden. Als wir am Treppenabsatz standen, rief er nach seinen Angestellten. Am oberen Treppenabsatz erschienen zwei junge Männer. Beide hießen Marcel. Sie standen dort in ihren Unterhosen und ich weiss noch wie sich langsam ein Schleier über meine Gefühle legte und ich spürte das es meiner Mutter genauso erging. Ich habe gespürt wie es in meiner Mutter zu brodeln begann doch souverän wie sie ist haben wir uns normal verabschiedet, spazierten gelassen zum Auto und verließen dieses Dorf der Verdammten. Ich kehrte nie wieder an diesen Ort zurück.
,,Seid ihr alle bescheuert?,,
Einige Jahre später. Nachdem ich die Ausbildung in diesem verdammten Haus natürlich nicht antrat musste ich mir etwas einfallen lassen. Die damaligen Bewerbungsfristen verstrichen so langsam und meine Familie machte Druck. Ich wusste noch wie überfordert ich mich damals fühlte. Ich hatte mit mir selbst und meinen Gefühlen zu tun und musste nun nach diesem ersten Schock direkt weiterziehen. Ich trat eine Ausbildung zum Verkäufer an. Es war relativ leicht diese Ausbildung zu bekommen. Ich fand einen Bildungsträger der mich mit meinen schulischen Leistungen so nehmen würde wie ich zu dem damaligen Zeitpunkt war. Es gibt so Momente die bis zum heutigen Tag nachhallen. Es ist wie ein kleines Erdbeben auf der Haut und lässt aus heutiger Sicht ein warmes Gefühl in der Brust aufkommen. Ich kann mich daran erinnern wie wir alle in der Straßenbahn gesessen haben und wie aufgeregt wir waren denn wir fuhren zu den Abschlussprüfungen unserer Ausbildung. 2 Jahre. 2 Jahre mühte ich mich ab. Vor allem auf dem OSZ hatte ich es nicht leicht. Ich kann mich noch sehr gut an diesen Mitschüler erinnern. Seine Augen waren so dunkel das sie mir Angst einflößten. Im Schatten waren sie fast Schwarz und auch seine Aura strahlte etwas so Negatives und eine unbekannte Bosheit aus. Ich hatte immer das Gefühl in den Augen der Menschen lesen zu können doch diese dunkle Wand der ich in seinen dunklen Augen begegnete ließ keine Einsicht zu. Es war als würden sie mich mit aller Gewalt wegdrücken und als sollte niemals jemand in seine Augen schauen. Er war sehr aggressiv und böse. Als wir das Gebäude für die Abschlussprüfungen betraten, fühlte ich mich ein bisschen wie in den Räumen von Hogwarts. Eine Freundin von mir berichtete mir von einem Beispiel wo sie einen ähnlichen Vergleich anstellte und ich finde auch hierzu passt das Bild. Diese hohen Mauern und diese weiten Räume waren einfach aufregend für mich. Überall Schülerinnen und Schüler die dieselbe Prüfung machen würden wie wir. Verteilt in diesen weiten und großflächigen Räumen tummelten sich auch Prüferinnen und Prüfer und einige versuchten noch ihren Schützlingen beizustehn. Es lag eine Mischung aus Angst, Verzweiflung, Hoffnung, Zuversicht und Euphorie in der Luft. Denn egal was passieren würde, nach dieser Prüfung wären wir fertig. 2 Jahre….2…Jahre. Im Anschluss bekam ich von meiner Praktikumsstelle einen Arbeitsvertrag. An 3 bis 4 Wochenenden sollte ich dort arbeiten kommen. Ich überlegte nicht all zu lange und nahm das Angebot an. Zu dieser Zeit interessierte ich mich privat auch noch sehr für das Filmgeschäft. Schauspieler, Kulissen, Make-Up Artists und ganz viel Tohuwabohu. Das war mein Ding! Ich war im Internet eingetragen als Komparse, Kleindarsteller und Sänger und habe es einfach mal ausprobiert. Ich war an diversen Sets und lernte Leute kennen und ich durfte sogar eine Rolle spielen! Ich war so froh und stolz! Doch natürlich müsste ich ja dennoch zusehen wie ich an Geld und Sicherheiten komme. Ich hatte schon zu Beginn meiner Ausbildung eine Wohnung bezogen und die will ja bezahlt werden. Als ich einige Wochen in diesem Betrieb arbeitete, erhielt ich einen Anruf – Hey, hallo Marcel! Sag mal, uns ist da jemand abgesprungen und wir drehen ein Wochenende in einem Holiday Spa. Könntest du dir vorstellen einzuspringen? – ich war begeistert von der Idee und sagte dennoch das ich erst mit meinem Arbeitgeber sprechen müsste. Ich rief auf Arbeit an und hatte eine Kollegin am Apparat. Als ich sie fragte ob ich denn einen Dienst tauschen könnte schrie sie mich an – Sagt mal, seid ihr eigentlich alle bescheuert? Die eine Kollegin ist im Krankenhaus mit einem gebrochenem Arm und du fragst jetzt ob du wann anders kommen kannst? Sag mal gehts noch? – ich war entsetzt von dieser Reaktion. Ich hatte normal nachgefragt und ohne fordernden Unterton und hätte nie mit einer solchen Reaktion gerechnet. Mir stellten sich natürlich im Nachhinein einige Fragen. Bei den Dreharbeiten hätte ich an einem Wochenende das verdient was ich für die 4 Wochenenden im Monat bekommen hätte. Und natürlich stellte ich mir die Frage – Was passiert denn wohl wenn ich mal nach Urlaub frage?Kommt sie dann und köpft mich? – ich hatte mit meiner Mutter telefoniert und ihr erzählt was passiert war. Ich rief sie in solchen Situationen oft an um meine Gedankengänge von ihr absegnen zu lassen. Ich entschied mich gegen eine weitere Zusammenarbeit mit diesem Unternehmen denn wenn schon so eine einfache Frage zu einer eskalierenden Kollegin führte…wie sollte das dann enden in Zukunft und…wäre es das wert gewesen?
Ihr Kinderlein kommet
Neues Dorf, neues Glück!
Eigentlich ist es ein sehr altes Dorf und gehört auch zu den örtlichen Sehenswürdigkeiten. Ich wurde dazu verdonnert eine sogenannte Arbeitsgelegenheit auf Basis einer Mehraufwandsentschädigung (MAE) anzunehmen. Ich war zuerst skeptisch aber ich nahm diese Herausforderung an denn ich hatte in der Zwischenzeit noch nichts gefunden was meinen Lebensunterhalt sichern würde und ich hatte so die Gelegenheit noch etwas Geld zu verdienen. Am Anfang war die Arbeit eher sinnlos und öde. Ich wusste das dieses kleine Unternehmen mir keine Zukunftschancen aufzeigen würde. Irgendwann beschloss ich jedoch mit einem kleinen Team etwas zu starten. Ein Projekt. Etwas, wo ich mich kreativ beteiligen konnte und wo ich mich einbringen könnte. Wir veranstalteten kostengünstige Basteltage für Kinder der umliegenden Grundschulen. Wir sammelten im Herbst Blätter und Kastanien, im Sommer hatten wir Spielgeräte und eine Führung durch das Dorf angeboten. Im Winter sangen wir in der ansässigen Kirche Weihnachtslieder und es war so unglaublich wundervoll und erfüllend. Zu sehen wie jedes Kind stolz etwas Selbstgemachtes mit nach Hause nehmen konnte und wie glücklich diese Kinder waren – es war ein Traum! Noch viele Jahre später kamen die Kinder auf mich zu, schon lange war ich nicht mehr in dieser Maßnahme und dennoch erkannten sie mich und fragten wie es mir so geht. Dieses Projekt war ein durchschlagender Erfolg doch das Unternehmen darf keine Gewinner o.ä. erzielen und so mussten wir schlussendlich diese ganzen Projekte einstampfen. Ich weiss noch sehr gut wie die ganzen Schulen von uns schwärmten und uns am Telefon fragten wann wir denn wieder diese Projekttage ausrichten würden. Leider war meine Zeit nach 1 Jahr bereits um und äußerst traurig verließ ich das Dorf. Es war so wunderschön im Schnee durch dieses Dorf zu laufen.
Casting Director am Stibbedi-Start!
Für mich musste es weitergehen. Irgendwo musste Geld herkommen. Noch bevor ich als Bürokraft in einer Casting-Agentur anheuerte sammelte ich zahlreiche Erfahrungen im Filmbereich. Ich nahm also diese Erfahrungen und geriet an ein Unternehmen von welchem ich vorher noch nie hörte. Meine Aufgaben bestanden darin die Datenbank zu pflegen und Castings durchzuführen. Einige junge Leute sprachen für ein Projekt vor und ich war dazu da ihnen etwas die Nervosität zu nehmen und sie auf die Aufnahmen vorzubereiten. Das war auch nicht das Problem. Mein Vorgesetzter, er war das Problem. Kurz nachdem ich dort anfing zu arbeiten erhielt ich auf mehreren Wegen Zuschriften von Menschen die ich nicht kannte. Es waren Warnungen. Ich sollte dort nicht arbeiten und der Mann sei gefährlich. Das war der Tenor der Nachrichten. Ich erhielt auch Anrufe von Unbekannten mit mahnenden Worten. Ich fand heraus, dass es sich um eine prominente Person handelte und war etwas überfahren mit der Situation. Ich war ja froh in meiner Lage überhaupt erstmal einen Job zu haben denn in meinem erlernten Beruf zeichnete sich schon lange ab wo die Reise hingehen sollte. Minijobs und geringfügige Beschäftigung. Also war ich froh in einem Bereich angestellt zu sein für welchen ich mich auch privat interessierte. Die mahnenden Mails und Anrufe hörten nicht auf und so beschloss ich Nachforschungen anzustellen und telefonierte nun öfter mit dieser Person die ich bis Heute nie zu Gesicht bekam. Doch es stellte sich heraus, dass etwas an den Geschichten des Anrufers dran sein musste. Ich erhielt kein Geld von meinem Vorgesetzten und es geschahen merkwürdige Dinge. An einem Abend wo ich noch im Büro saß sollte ich bemerken was mir da für ein Mensch gegenüber saß. Er öffnete sein Hemd, holte seine Insulinspritze raus und fragte mich fast schon lasziv ob ich ihm seine Spritze verabreichen würde in seinen dicken Bauch und im gleichen Atemzug fragte er mich ob ich denn schon einmal ejakuliert hätte. Dieser Abend brannte sich in mein Gedächtnis und ich beschloss mich mit der Person die mich mehrfach kontaktierte zusammenzutun. Schlussendlich lüftete ich noch einige Geheimnisse dieses Mannes und es endete darin das ich mit einer Freundin und ihrer Mutter zusammen die Büroschlüssel übergab und nie wieder an diesen Ort kommen würde.
Call Center geht immer!
Mein erster Tag im Call Center. Mit Kunden konnte ich schon immer sehr gut und hatte immer schon einen Riecher für menschliche Bedürfnisse. Das wollte ich gerne in meine Arbeit dort einfließen lassen. Dabei habe ich in den Folgemonaten und Jahren gelernt wie unterschiedlich diese Einrichtungen sein können. Ich hatte mich für ein Musicalprojekt beworben und wurde angenommen. Ich liebe Musik und Musicals! Das Team auf welches ich traf war so vielschichtig, beinahe schon überfordernd. Ich lernte Menschen kennen mit denen ich heute noch regen Kontakt habe – wir gehen ab und an zusammen Karaoke singen – und Menschen an die ich noch romantische Erinnerungen habe. Das Telefonprojekt an sich war für mich eine gute Möglichkeit meine Fähigkeiten im Umgang mit Menschen zu verbessern und ich konnte mich mit dem Thema Musik und Kultur beschäftigen. Sicher waren die Schichten auch anstrengend denn bis um 22 Uhr abends Tickets zu buchen und dann durch die halbe Stadt fahren ist schon nicht leicht aber das Team gab mir Kraft. Wir hatten die lustigen, die verpeilten, die offenen und die albernen Teammitglieder und konnten uns aufeinander verlassen. Ich glaube eine leichte Verliebtheit gespürt zu haben für den coolen und stillen Typen der nur ab und an mal seinen Senf dazu gab aber wenn wir zusammen mal eine rauchen waren konnte er sich mir ein Stück weit öffnen und ich glaube er hat auch gespürt das ich ihn nicht bedrängen würde. Dennoch wurden wir beide das Fake-Traumpaar der Etage und alles starte uns an wenn wir zusammen auf den Raucherbalkon gingen. es war für mich wie ein Sommermärchen und auch Heute noch spüre ich wie meine Wangen ganz warm werden wenn ich an ihn denke. Dieses Projekt war alles in allem eine schöne Erfahrung und ich habe tolle Menschen kennengelernt und doch … wo Licht ist, ist auch Schatten. es war kurz nach der Wintersaison und alle im Team waren ganz happy das es vorbei war. Geradezu euphorisch gaben die Leute mehrere tausend Euro aus um in ihr Lieblingsmusical zu kommen mit der ganzen Familie und auch wenn das sehr schön war…es war auch einfach anstrengend. Das Projekt wurde eingestampft. Bumm. Einfach so. Man sagte uns es hätte sich nicht genügend rentiert und so standen wir nun alle im Prinzip vor dem Nichts. Ich wurde wenigen Wochen nach dieser Unheilsverkündung zu einem Gespräch geladen von unseren Vorgesetzten. Das fand aber nicht etwa irgendwo in einem Büro statt sondern wir setzten uns auf eine der Sitzinseln. Ich sollte mich nun entscheiden… – Entweder du gehst zu … (es ist besser wenn ich nicht erwähne um welches Projekt es sich genau handelte) oder du landest beim Jobcenter – das war die Ansage. Ich hatte nicht groß zeit nachzudenken und so viele Gedanken schossen mir durch den Kopf und wohin würde mich das denn führen und wie …. ich war überwältigt von dieser Nachricht und wusste noch nicht so recht was ich mit diesem Kommentar bezüglich des Jobcenters sollte. Des Geldes wegen entschloss ich mich das ,,Angebot,, anzunehmen. Eine ganz platte und emotionslose Entscheidung. Das Team dieses Projekts war deutlich größer als das wo ich vorher war und allein die Gesichter und die Stimmung im Team löste in mir Unbehagen aus. Ich unterhielt mich mit einigen der Teammitglieder und stieß auf leere,emotionslose und resignierte Menschen. Viele haben mir gesagt – Ja….naja…was soll ich denn sonst tun…muss ja Geld verdien´… – und ich spürte eine so aktive Ohnmacht wie ich sie selten zuvor so erlebt habe. Und mir sollte es ähnlich gehen. Nach einiger Zeit in diesem Projekt spürte ich wie Frust, teilweise Aggression und Wut in mir aufstiegen. Ich merkte in zahllosen Gesprächen mit Kunden wie machtlos ich doch war. So viele Menschen erzählten mir wie sehr es ihnen leid tat das sie Fristen vergessen hatten. So viele Menschen die weinten, schrien und mich beschimpften. Der psychosoziale Druck lastete auf mir und ich konnte diesen Menschen nicht helfen. Ich konnte nur zu meinen Vorgesetzten gehen und ihnen davon berichten. Abgeklärt, hart und leidenschaftslos wimmelten sie die Kunden ab mit beliebten Sprüchen wie – …na Sie müssen das halt zahlen! – und das in einer Tonlage die vor allem dem gelehrten Verkäufer in mir widersprachen. Hätte ich so jemals mit einem Kunden ein Gespräch geführt….meinen Abschluss hätte ich sicher vergessen können. Eines Tages gab es einen neuen Vorgesetzten der von uns den Namen Satan erhielt. War echt so! Dieser Mann verstand sich wunderbar mit Frauen doch ich glaube mit Männern hatte er so seine Probleme. Er hörte nicht zu wenn ich mit ihm sprach aber wenn eine junge Frau neben ihm lächelte war ich sowieso abgeschrieben, egal was ich wollte. Mittlerweile habe ich feststellen müssen das es Menschen gibt die mit einem gewissen Grad der ,,Macht,, nicht zurechtkommen. Es gibt Menschen die ihren kompletten Frust an Unbeteiligten auslassen und sie herumschubsen um womöglich Erlebnisse aus ihrer eigenen Vergangenheit aufzuarbeiten oder weil sie schlicht Gefallen daran finden auf den Gefühlen von Menschen herumzutrampeln. Monate später. ich wirke resigniert, abwesend, stumpf und aggressiv. Ich habe schon die Schnauze voll wenn ich den Computer gestartet habe und will am liebsten kein Wort hören. Unverständnis, Leid, strenges Vokabular und so viele Emotionen die mir in diesen markanteren Telefonaten entgegenschlugen hatten tatsächlich ihren Tribut verlangt. Ich würde sogar behaupten, dass man am besten seine Seele an der Eingangstür hätte abgeben sollen damit man besser mit dem zurechtkommt was einen dort erwartet hatte. Es mündete alles in ein einziges Ereignis. Es war wohl in diesem Projekt normal das man für alles gleichzeitig da sein muss und an allen Enden und ecken erreichbar sein muss. Arbeitet man an einer Mail, sollte man dennoch ans Telefon gehen. Das kostete mich im Endeffekt mehr Zeit für eine einzige Mail und Zeit ist wirklich Geld in einem Call Center! Schreibst du genügend Mails, kannst du Boni bekommen. Schaffst du genügend Telefonate und wimmelst die Kunden schneller ab, kannst du ein TOP Mitarbeiter sein oder werden. Ich stellte die Frage – Wie soll ich denn da auf einen grünen Zweig kommen wenn ich ständig auf die Line gesetzt werde? Da komme ich nicht weit mit den Mails! – und das kostete mich schließlich auf etwas von meinem Gehalt. Ich war gerade dabei eine Mail zu schreiben als ich einen Anruf vom Desk entgegennahm – die Desks sind die Arbeitsbereiche unserer Teamleader gewesen – und Satan schrie mich an – Bist du zu behindert zum lesen? Ich habe dir geschrieben du sollst gefälligst auf die Line gehen! – und ich stand auf, ging voller Wut zum Desk und sagte ihm – Wenn du es wagst mich noch ein einziges Mal so anzusprechen…dann knallts! – und direkt wandte ich mich einen seiner Vorgesetzten der auch auf der Etage war. Ich schilderte ihm was geschehen war und teilte ihm mit, dass ich so nicht behandelt werden könnte. Nur ein müdes – Wir klären das – und einige Wochen vergingen. Nachdem es so knallte und wir uns auch nicht mehr vertragen konnten habe ich meine Sachen genommen und dieses Unternehmen hinter mir gelassen. Kein Job rechtfertigt es sich so behandeln lassen zu müssen.
Ich hatte es auch einmal bei einem anderen Call Center probiert. Als ich mich weigerte den Kunden Lügen aufzutischen – wir sollten sagen wir sitzen an einem anderen Ort und bezahlen hier mit einer anderen Währung etc – wurde ich mit einem Security aus dem Gebäude geführt.
Ich hatte mich auch für ein Call Center entschieden welches Ökostrom vertreibt. Diese Firma warb mit Technologien die es damals so noch gar nicht gab und nur auf aktive Nachfrage des Kunden sollten wir die Wahrheit erzählen und es als ,,Investition in die Zukunft erneuerbarer Energien,, verkaufen. Nach einem Gespräch mit dem ganzen Schulungslehrgang und nachdem sogar die Bezirksleitung antreten musste entschied ich mich gegen diese Stelle. Ich wollte mein Geld ehrlich verdienen. Gott sei Dank deckten einige Reportagen und Medienberichte dieses Fehlverhalten auf und dennoch kann man davon ausgehen das nicht alles mit rechten Dingen zugeht in den Call Centern.
Die Großstadtpause
Oldenburg. Stadt der Fahrräder und Studierenden. Und eine findige Frittenbude mit leckeren Saucenvariationen. Ich musste mal raus aus der Großstadt. Zu viel Enttäuschung und zu viele Menschen die mir nicht gut taten. In Oldenburg hatte ich eine Freundin die mit mir damals in die gleiche Klasse der Oberstufe ging. Sie arbeitete direkt nach der Schule dort und war immer äußerst zufrieden und so loyal was dieses Unternehmen betrifft. Der Gründer dieses Unternehmens ließ damals anordnen, dass ALLE Mitarbeiter zum Beispiel zum Nikolaustag eine große Tüte mit Gutscheinen, einem großen Stollen und Süßigkeiten bekommen sollten. Doch dazu später mehr. Ich durfte für die anstehende Weihnachtssaison nach Oldenburg und im Kundenservice dieses Unternehmens anfangen zu arbeiten. Die Mailbearbeitung fiel mir zwar doch recht schwer wegen des Fachwissens und der Erfahrung die mir fehlte aber allein die Arbeitsatmosphäre und die Art wie die Menschen dort waren ließen mich wieder an den Menschen selbst glauben. Selbst die Vorgesetzten waren offen, herzlich und fürsorglich und ich fühlte mich rundum wohl und da machte es mir auch nichts aus mal etwas mehr zu arbeiten, länger zu bleiben oder ähnliches. Ich fühlte mich einfach wohl. Ich lernte Menschen kennen die auch heute noch an meiner Seite habe und mit einer der damaligen Kolleginnen war ich auch schon im Urlaub. Ich sollte mittlerweile als Supervisor agieren und das 150-köpfige Team im Auge behalten und hier und da einmal walten. Der internationale Kundendienstleister war äußerst zufrieden mit mir. Wir unterhielten uns öfters über die Zustände und die Gehälter für eine vergleichbare Arbeit im Kundenservice in meiner Heimat und ich werde nie den Satz einer Kollegin vergessen den sie sagte als ich schilderte wie die Löhne in meiner Heimat – Berlin – für eine Arbeit im Call Center aussehen würden – …na dafür würde ich noch nicht einmal das linke Auge aufmachen … – und ich musste so lachen! Sie hatte so Recht und ich kannte bis dahin diese gewaltigen Unterschiede gar nicht. Ich bettelte förmlich nach diesen knapp 4 Monaten um eine Anstellung in einem Berliner Büro, doch leider gab es dort keinen freien Platz für mich. Diese Herzlichkeit und Offenheit dieser Menschen werde ich niemals vergessen. Meiner Ansicht nach war dieses Unternehmen in Gänze viel weiter als die Unternehmen mit denen ich in Berlin zu tun hatte. Eine schöne Erinnerung.
An diesem Punkt mache ich eine Pause. Die folgenden Erlebnisse sind nämlich nicht mehr ganz so ausgewogen sondern führten genau zu dem IST-Zustand in dem ich mich heute befinde. Ich möchte dieses Positiv-Beispiel nehmen um mich daran zu klammern. Zumindest bis ich den 2. Teil abtippen werde und dazu benötige ich sicher einen Drink!
Ich bedanke mich für die bisherige Aufmerksamkeit, passt auf euch auf!